«Music for a While» am 21. Juni im Römerholz
Glière Streichquartett Nr.1 in A-Dur und Lyatoshynsky Streichquartett Nr.2 in A-Dur
Es ist nicht alltäglich, dass ein Konzertprogramm gleich zwei Werke in derselben Tonart präsentiert – und doch könnte der Kontrast kaum größer sein:
Zwei Streichquartette in A-Dur, geschrieben von zwei Komponisten, die viel mehr miteinander verbindet als nur die Tonart.

Reinhold Glière und Boris Lyatoshynsky waren Lehrer und Schüler, beide verwurzelt in der musikalischen Geschichte Kiews und lebenslang miteinander befreundet – und doch grundverschieden in ihrer Tonsprache.
Reinhold Glière wurde 1875 in Kiew geboren – damals Teil des russischen Zarenreiches, heute Hauptstadt der Ukraine – in einer Zeit, in der sich die klassische Musik zwischen Spätromantik und aufkommender Moderne bewegte.
Glière war ein musikalischer Brückenbauer: Er vereinte westliche Traditionen mit slawischem Kolorit und einem feinen Gespür für Volksmelodien und war als Kompositionslehrer (u.a. auch von Sergej Prokofjew) höchst angesehen.
Politisch war er als eher angepasster Künstler ein willkommener und begünstigter Exponent der von Stalin geprägten Sowjetunion.
Sein Streichquartett in A-Dur von 1894 ist ein Jugendwerk und strahlt mit warmen Farben, klassischer Form und volksliedhaften Themen eine geradezu zeitlose Gelassenheit aus.
Glières Musik ist verständlich und zugänglich – sie möchte gefallen, nicht provozieren, und sie tut das mit Anmut und Eleganz.
Boris Lyatoshynsky, 20 Jahre jünger als sein Lehrer, wurde in Schytomir geboren und gilt heute als einer der bedeutendsten Komponisten der Ukraine im 20. Jahrhundert.
Er studierte bei Glière, doch sein musikalischer Weg sollte ihn weit über die Traditionen seines Lehrers hinausführen.
Lyatoshynsky war ein Suchender, und seine Musik spricht eine vielschichtige, oft ambivalente Sprache: mal lyrisch, mal herb, mal düster, mal leuchtend.
Das Streichquartett in A-Dur, welches er als Siebenundzwanzigjähriger komponierte, wirkt stellenweise, als käme es von einem anderen Stern.
Die Harmonik ist kühn, manchmal irritierend; die Form ist verfremdet, und die Stimmung wechselt oft überraschend.
Und doch ist diese Musik tief verbunden mit der ukrainischen Klangwelt: Immer wieder leuchten Motive auf, die an ihre Volkslieder erinnern.
Beide Komponisten verbindet auch ihre Beziehung zur Stadt Kiew, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein pulsierendes Zentrum kultureller Vielfalt war.
Hier trafen sich slawische Folklore, westliche Klassik sowie jüdische, polnische, russische und ukrainische Traditionen – hier existierte ein kreatives Spannungsfeld, das sich in der Musik der beiden auf ganz unterschiedliche Weise niederschlug.
Glière schöpfte aus diesem Reichtum mit einem Gefühl von Dankbarkeit und Bewahrung. Lyatoshynsky hingegen nahm ihn als Ausgangspunkt für eine musikalische Entdeckungsreise ins Ungewisse – auch als Reaktion auf die dramatischen politischen Umbrüche seiner Zeit.